„In einer Sprache finden wir uns zueinander, die völlig etwas anderes ist als das bloße natürliche Verständigungsmittel; denn in ihr redet Vergangenes zu uns, Kräfte wirken auf uns ein und werden unmittelbar gewaltig, denen die politischen Einrichtungen weder Raum zu geben, noch Schranken zu setzen mächtig sind, ein eigentümlicher Zusammenhang wird wirksam zwischen den Geschlechtern, wir ahnen dahinter ein Etwas waltend, das wir den Geist der Nation zu nennen uns getrauen.“
Hugo von Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation
Fügung
Unmittelbar nachdem die Zweite Fassung der Schwarzen Fackel erschienen war, versuchte ich mir in einer dichterischen Selbstreflexion, der ich den Namen „Wir Katechonten“ gab, nunmehr abgedruckt in dem hier vorliegenden Band, Rechenschaft über mein bisheriges Werk abzulegen. Das ist deshalb ein schwieriges Unterfangen, weil die künstlerischen Standards in der späten BRD genau so wenig maßstäblich sein können, wie die Politik der Kaste. So wenig diese dem Volk zugeneigt ist, so wenig entspricht jene seiner schöpferischen Schaffenskraft. Der Leser verifiziere meine Aussage an den Stücken, die alljährlich in das Jahrbuch der Lyrik aufgenommen werden. Jeden Tag aufs Neue wiederholt sich bei uns der geistige 8. Mai. Auf der Suche nach dem ewigen Kern alles Denkens und Schaffens wird man in diesem Umfeld nicht fündig.
Wenn ich daher auf mich selbst verwiesen, diese Sammlung mit ihrer Vorgängerin vergleiche, stelle ich folgende drei Unterschiede fest:
Erstens glaube ich in dem Spiegel der Charaktere, der Verhältnisse und der Unordnung der Dinge, den ich zu geben versuche, methodisch vom Hass zur Verachtung aufgestiegen zu sein. Beispielhaft zeigt das der Vergleich von „Gegentum“ und „Im Tale“. Jedenfalls scheint es mir sinnvoll zu versuchen, die Dinge nicht nur mit dem Geist der Desinvoltura zu betrachten, sondern sie auch so in Worte zu fassen. Ich würde es allerdings gelten lassen, wenn mir die Kritiker vorwürfen, bei diesem Unterfangen nicht erfolgreich gewesen zu sein, weil doch die Emotionen immer wieder aufflammen. Besser ein heißes Feuer als kalte Asche.
Zweitens stellte ich sowohl im Rückblick als auch im Hinblick auf die aktuellen Texte fest, dass sich Themen häufig gewissermaßen von selbst in die Taste drücken, ohne dass ich mir bewusst vorgenommen hätte, sie zu gestalten: So schreibt sich hier der Satan fort, der schon in der Schwarzen Fackel in den Blickpunkt rückte. An seine Seite tritt nunmehr der falsche Priester bzw. die falsche Nonne. Ich komme nicht umhin, hierbei das Schicksal selbst am Werk zu sehen, das mich insofern als Federhalter auserkoren hat. Denn die Entwicklungen der Zeit, die sich seit Ausbruch der Coronokratur nahezu täglich zu existenziellen Fragestellungen, auch im ganz persönlichen Bereich, verdichten, zwingen dazu zu hinterfragen, inwieweit sich darin das Elementare offenbart. Jeder kann sehen, der sehen will, dass seitdem die Stiefmutter ihr Regiment begründet hat, bei uns nicht einfach schlechte Politik wütet, sondern dass die Kaste bewusst und zielgerichtet gegen das Volk arbeitet. Das ist nichts Neues. Nicht nur Marx und Lenin nannten beim Namen, dass die Macht nicht im Sinne des Volkes regiert, und sie entlarvten auch die Kräfte dahinter. Schon Thukydides benennt diesen Mechanismus im Peloponnesichem Krieg: „Dabei hielt Sparta seine Verbündeten nicht abgabepflichtig und sah nur darauf, dass überall ein herrschender Adel in Spartas Sinn die Dinge lenkte.“ Nicht anders bei uns, die wir in einem abgeleiteten Staate leben. Weil die Okkupation geistiger Art ist, führt sie zu geistigen Verfall.
Hinter dem machttechnischen Vorgang stehen metaphysische Kräfte und Gegensätze. Wer nun die Frage nach der Metaphysik dieser Machtverhältnisse stellt und damit über sie hinaus denkt, landet unweigerlich bei dem, was ich den politischen Satanismus nenne: eine mit pseudoreligiösen Mitteln maskierte Herrschaft des Bösen. In diesem Spiel ist das Schweigen der Kirchen ein wesentlicher Faktor. Wenn Corona die tödliche Gefahr wäre, als die sie die Propaganda ausgibt, dann hätten sich den beamteten Sachwaltern Gottes die entscheidenden Fragen geradezu aufzwingen müssen: steht der jüngste Tag bevor, kündigt sich das Gericht an, richtet der Widerchrist seine Herrschaft auf? Für einen Großteil unseres Volkes dürften derlei Fragen Zinnober sein und zwar gerade in Folge des jahrzehntelangen Versagens der Pfaffen beider Konfessionen. Für die Kirchen wären es aber Elementarfragen, die jede Woche im Gottesdienst formelhaft beschworen werden. Sie jetzt nicht zu stellen, und stattdessen Abstandsregeln für die Gottesdienste einzuführen, sich dabei erst das Singen und schließlich die Messe selbst verbieten zu lassen, heißt sich aufzugeben (wobei mit Verlaub gesagt, es bei kaum einer öffentlichen Veranstaltung so einfach sein dürfte, die körperlichen Abstände zwischen den Teilnehmern zu wahren, wie in den zum Teil immer noch riesigen Kirchenschiffen, die für das verlorene Häuflein eines evangelischen Gottesdienstes bereitstehen). Was erleben wir stattdessen? Stille, ängstliche Stille. Nichts ist geblieben vom Geist der ersten Zeugen, die singend ins Colosseum zogen; nichts vom zornigen Aufbegehren Martin Luthers gegen die Verfälscher des Wortes. Nicht ohne Grund beklagte Benedikt XVI bei Erscheinen seiner Biographie im Mai 2020: „man will meine Stimme ausschalten.“
Wenn sich also entsprechende Metaphern von selbst einstellen, sehe ich darin ein intuitives Erfassen einiger der Urgründe des derzeitigen Mächteringens. Dass sich der Dichter solcher Vorgänge, in denen das Schicksal konkrete Gestalt annimmt, zuwenden muss, habe ich bereits an anderer Stelle klargestellt. Das Schrifttum ist und bleibt der geistige Raum der Nation (Hugo von Hoffmannsthal). Die Erneuerung dieses Raumes steht seit der politischen Wende der Jahre 1989/90 nach wie vor aus. Wenn man die Zwergengestalten sieht, die bei schönem Wetter ihr Angesicht freiwillig hinter einer Maske verstecken und damit beweisen, dass die Würde des Menschen für sie eine Bürde ist, an der sie scheitern, dann liegt der Auftrag des Dichters klar zu Tage: zu benennen, wer in der Triage besteht, und wer nicht. Wer sucht, kann auch in der Bibel den Hinweis finden, dass verworfen ist, wer nicht sehen will.
Dennoch und drittens schließlich durfte ich es zu Wege bringen, das Licht hinter dem Schatten aufleuchten zu lassen. Zwar liegt bereits in jeder Benennung des Niederen die dialektische Beschreibung des Hohen. Aber das Helle dann auch tatsächlich zu zeichnen, ist doch etwas anderes, als nur das Dunkle zu bezichtigen. Das Erstaunliche an den Redaktionsarbeiten war festzustellen, dass es das Wort „Licht“ ist, das alle anderen dominierte. Dem Geweihten soll es Leuchten, während die Ignoranten in ihrer Blindheit verkommen.
Für den Band habe ich acht mal acht Gedichte ausgewählt. Je ein weiteres leitet ihn ein bzw. aus. Möge der Leser durch sie Anteil gewinnen am Ringen um die seelische Kraft unseres Volkes.
Triage
Nur Geweihte tragen das Vermächtnis
Nur Sehende wissen von dem Licht
Nur die Treuen haben Recht zum Leben
Nur die Gläubigen kommen einst zum Herrn
Doch die Ängstlichen stehen schon am Grabe
Die Knechte werden gerne unterdrückt
Die Sklaven wollen Unglück spüren
Und die Blinden scheuen freie Sicht.
Was die Herde mit einem Schreckenswort belegt, ist in Wahrheit das, was es zu erstreben gilt: die Triage. Auswahl des Glaubens, Elite des Geistes und Kreis des Bekenntnisses. Sie ist weder etwas für Ängstliche noch für Schwache; und das ist auch gut so. Die in diesem Band zusammengefassten Gedicht von Björn Clemens weisen den Weg durch das Dickicht zu Auftrag und Entscheidung.
Inhalt
I. Auftrag
Dein Auftrag
Deine Zeit
Der Schaffende
Das geweihte Korn
Das gute Korn
Bewahrung
II. Kreis
Triage
Wir Katechonten
Thing
Der freie Geist
Der Fackelträger
Oh Marburg
Zum 18. Januar 1871
III. Schlamm
Im Tale
Wir tragen Verantwortung
Verweilverbot
Feinde
Die Spitzbuben
Die alten Geister
Die Masken
Die Zwerge
Der Zwergen Ende
Der Maskenknecht
Das Lied von der falschen Nonne
IV. Kampf
Fliegender Adler
Corona
Das neue Kampfjahr
Krieg
Die freien Wahlen
Ungebrochene Schwerter
V. Weg
Dein Stern
Neujahr
Spurlos
In der Eisenbahn
Die Taube
Der Reiher
Meine Ruh
Mein Traum
Der Brunnen
Das letzte Wort
VI. Nebel
Eigentlich IV
Nachtfrost – ein Frühlingsgedicht
Stille
Im Gestrüpp
Der junge Baum
Der alte Trott
Erntelied
Der Tag X
Ausklang
VII. Schatten
Verlorene Impulse
In Angst und Sünde
Die Scheu des Opfers
Die apokalyptischen Reiter
Der Winterfeldzug
Der Seher
Das verlassene Haus
Der Blume Tod
VIII. Licht
Im Winterlicht
Unser täglich Brot
Licht aus Schatten
Stille Kühle
Die Schwalbe
Ewige Sonne
Zur Krone
Licht aus Schatten
Der Schatten soll nicht schrecken
Denn ihn entwirft das Licht
Drum kann er nur verdecken
Doch löschen kann er nicht
Der Götze wird nicht zeugen
Kein Spross aus falscher Hand
Die dienend ihm sich beugen
Versinken in dem Sand
Der Priester wird nicht künden
Weil er sich selbst nicht glaubt
Erklärt darum zu Sünden
Ein jedes freies Haupt
Die Vielen werden treiben
Zerrinnen in der Zeit
Nur der kann ewig bleiben
Der sich der Krone weiht.
Die Schwalbe
Ohne Maske fliegt die Schwalbe
Frisch und frei durchs Land
Ungeimpft und ohne Salbe
Ohne Schlinge oder Band
Ohne Grenzen denkt der Freie
Fromm und unverwandt
Fürchtend nicht den Clan der Haie
Wird vom Fluche nicht gebannt
Nicht dem Kanzler lebt der Bürger
Nicht dem falschen Stand
Nicht dem nimmersatten Würger
Dem das Wahre unbekannt
Seiner Freiheit gilt das Streben
Sitte, die er fand
Das verlangt von ihm das Leben
Welches gab ihm Herz und Hand